Interview mit Christine Kabus – Die Zeit der Birken

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Christine, dein neustes Buch »Die Zeit der Birken« ist kürzlich erschienen und ich freue mich sehr diese Gelegenheit für ein Interview mit dir nutzen zu können. In den vergangenen Büchern reisten wir ja nach Norwegen doch mit diesem Buch nimmst du uns mit nach Estland und Schleswig-Holstein.

Wie kam es zu dem Ortswechsel?

Christine:
Ich habe ja den Verlag gewechselt, und beim neuen (Aufbau Verlag, Berlin) fragte man mich, ob ich mir einen Schauplatz an der Ostsee vorstellen könnte. Da mich das Baltikum schon lange interessiert, war für mich schnell klar, wohin die Reise gehen würde. Und Schleswig-Holsteins Ostseeküste finde ich wunderschön, da wollte ich immer gern einmal eine Handlung ansiedeln.

Zweiter Weltkrieg, das Fortbestehen von Beziehungen oder Familien. Warum genau war dieses Thema in deinem Buch wichtig?

Christine:
Ich denke, dass der Zweite Weltkrieg und seine Folgen bei uns in so gut wie jeder Familie seine Spuren hinterlassen hat, mal deutlich sichtbar (etwa durch den frühen Verlust von engen Angehörigen oder der Heimat, der das weitere Leben der Betroffenen prägte und auch in die folgenden Generationen hineinwirkt) mal unterschwelliger, weil mit starken Tabus belegt (etwa wenn die Enkel oder Urenkel entdecken, dass es in der eigenen Familie NS-Verbrecher, glühende Anhänger des Hitler-Regimes oder aber Kinder aus Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten gab.)

Ich stelle immer wieder fest, dass selbst viele Jahrzehnte nach Kriegsende solche Themen nach wie vor eine gewaltige Sprengkraft haben können oder im Untergrund rumoren, wenn sie nicht aufgedeckt werden (können oder dürfen). Wir leben zwar in einer Zeit, in der die „klassische Familie“ längst nicht mehr den Status hat wie früher, dennoch ist es für die meisten Menschen enorm wichtig zu wissen, woher sie kommen, von wem sie abstammen etc.

Die Frauen vom Birkenhof.

Schleswig-Holstein, 1977: Die Liebe zwischen Gesine und dem Pferdetrainer Grigori endet jäh, als er plötzlich spurlos verschwindet. Doch eines Tages stößt Gesine auf Hinweise über seinen Verbleib, die sie nicht nur tief in die Vergangenheit ihrer Familie, sondern auch in die Abgründe europäischer Geschichte führen.
Estland,1938: Charlotte verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Esten Lennart. Doch ihre Eltern würden diese Verbindung niemals billigen, und so halten sie ihre Beziehung geheim. Als Charlotte ein Kind von Lennart erwartet, brechen die Wirren des Zweiten Weltkriegs über sie herein, und die Liebenden werden getrennt.

Gesellschaftliches Ansehen, der Status der Familie.  Selbst im Hier und Jetzt gibt es solch gesellschaftliches querdenken noch. Das Einordnen in Schubladen ist immer noch präsent und bringt auch mich noch zum Verzweifeln in bestimmten Situationen. Was glaubst du, hat dieses früher ausgelöst?

Christine:
Früher waren gesellschaftliche Normen noch sehr viel präsenter und bindender. Es war viel schwerer, die „Standesgrenzen“ zu überwinden und sich den Vorgaben und Erwartungen zu entziehen. Das galt insbesondere für Frauen, die noch viel unfreier in der Wahl ihres Lebensweges waren als Männer.

Davon abgesehen bin ich der Überzeugung, dass es ein urmenschliches Bedürfnis ist, sich von anderen Gruppen abzugrenzen, sei es, weil sie einen anderen Glauben praktizieren, anders lieben, eine andere Bildung genossen haben, aus einem anderen Kulturkreis stammen etc. Offenbar ist es eine der schwersten Übungen, wirklich offen und ohne Vorbehalte Menschen zu begegnen, die „anders“ sind. Da hat sich meiner Meinung nach nicht sooo viel geändert in den letzten Jahrzehnten. Leider …

»Die Zeit der Birken« hat 2 Erzählstränge auch unterschiedlichen Zeitebenen. War es schwer beide letztlich miteinander zu verknüpfen? Es liegen doch einige Jahre uns sehr schwere Zeiten dazwischen.

Christine:
Es ist jedes Mal eine Herausforderung, weil ich ja darauf achten möchte, in einem Strang nichts zu verraten oder vorwegzunehmen, was die Spannung auf der anderen Erzählebene schmälern könnte. Für mich ist es ein aufregender Prozess, weil ich die Kapitel abwechselnd schreibe, also so, wie sie nachher zu lesen sind. Manchmal stehe ich dabei an einem Punkt, wo ich noch nicht genau weiß, welche Haken der Weg schlagen wird – das sind dann prickelnde Momente zwischen der Angst, die Kurve nicht zu kriegen und der Freude am Ausknobeln einer guten Lösung.

Welche Figur hat dich beim Schreiben am meisten inspiriert und warum? 1938 Charlotte von Lilienfeld oder 1977 Gesine von Pletten?

Christine:
Was für eine fiese Frage! 😉

Sie sind mir beide sehr ans Herz gewachsen, schließlich haben sie mich über ein Jahr begleitet.

Gesine hat mich in meine eigene Kindheit in den 70er Jahren zurückgeführt – das war natürlich eine interessante Zeitreise für mich, die viele Erinnerungen geweckt hat. Charlotte fand ich aber ebenso spannend, weil sie eben in einer Epoche lebte, die versunken ist.

Politische Aspekte untermalen die Handlungsweisen der Figuren zu damaliger Zeit. Wieviel Recherchearbeit war für diesen Titel nötig?

Christine:
Es war eine sehr aufwendige Recherche – was mir aber – wie schon bei meinen anderen Büchern – große Freude bereitet hat. Sowohl vor dem Schreiben (ungefähr vier Monate) als auch kontinuierlich während der Arbeit am Manuskript.

Ich lerne dabei so viel Neues, stoße auf großartige Quellen und Dokumente und bin immer wieder begeistert, wie tief ich trotz der temporären und räumlichen Distanz in verschiedene Zeiten eintauchen kann.

Natürlich die beste Frage zum Abschluss, ist schon ein neuer Roman geplant oder gar schon ein Erscheinungstermin bekannt? Verrate uns mehr!

Christine:
Ja, ich schreibe schon fleißig am nächsten Roman, der dieses Mal fast ganz in Estland spielt und eine Art sehr loses Prequel zum aktuellen ist. Wieder 2 Zeitebenen, rund um den 1. WK und den 1. Unabhängigkeitskampf der Esten, und dann in den späten 80er Jahren auf dem Weg zur 2. Unabhängigkeit 1991.

Abgabe des Manuskripts ist im kommenden Sommer, wann das Buch dann erscheinen wird, kann ich noch nicht sagen, ich denke mal, dass es im Frühling 2022 rauskommt.

Vielen Dank liebe Christine für deine schönen Antworten. Geben sie doch eine sehr interessante Sichtweise auf dein Buch »Die Zeit der Birken«.

Christine:

Ich danke Dir für Deine Fragen und wünsche allen Leser*innen viel Spaß bei der Lektüre. Es würde mich sehr interessieren, inwieweit die/der ein oder andere eigene Erinnerungen an die 70er Jahre hat bzw. sich an Familienerzählungen rund um den Zweiten Weltkriegs erinnert.

Hier findest du übrigens mein Bookreview zu “Die Zeit der Birken”